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NOePatents - Petition gegen Software Patente in der EU

Zweite, sprachlich überarbeitete, Version.

1. Einführung in diesen Petitionstext

Dieser Text ist eine Petition, von der Linux User Group Switzerland (LUGS), einen Verein von Entwicklern und Benutzern von Software nach der Open Source Methode, an das Institut für Geistiges Eigentum (IGE), insbesondere an deren Delegation, die an die Konferenz über die Aenderung des europäischen Patentübereinkommens, 20.-29. Nov, in München reist.

Die LUGS und die anderen Unterzeichner fordern, dass Software weiterhin nicht patentierbar sein soll, und dass folglich die Aenderung des EPUe, dies zu ermöglichen, abgelehnt werden soll.

Da dieser Text, als Petition, von verschiedenen Parteien (Unterschreibende, IGE, etc) mit sehr verschiedenen Vorbildungen (in Gesetzen und in Software erstellen) gelesen wird, wird möglichst wenig Vorwissen über Gesetze und erwähnte Technologien seitens des Lesers vorausgesetzt. Daher werden Grundlagen, die nicht Allgemeinwissen sind, erklärt, auf Kosten der Grösse des Textes.

Dieser Text addressiert folgende Themen:

1. Einführung in diesen Petitionstext
2. Patentrecht ist nicht Urheberrecht
3. Vorgeschichte des Europäischen Patent Uebereinkommens
4. Der Prozess der Software Erstellung
5. Traditionell: die Closed Source Software Methode
6. Einfluss von Patenten auf Closed Source
7. Prinzipbedingte Schwächen von Closed Source
8. Neu: die Open Source Software Methode
9. Prinzipbedingte Stärken von Open Source
10. Bedingungen für Open Source und wie Patente es verhindern können
11. Einfluss von existierenden Patenten
12. Wirkung von noch mehr Patenten, insbesondere solche für Software
13. Andere Experten zu diesem Thema
14. Zusammenfassung

Dies ist die zweite, sprachlich redigierte, aber inhaltlich gleichbedeutende, Version des Petitionstextes.

2. Patentrecht ist nicht Urheberrecht

Diskussionen innerhalb des LUGS haben ergeben, dass der Unterschied dieser beiden Gesetzte vielen nicht bekannt ist. Insbesondere sind die deutlich schwerwiegenderen Folgen von Patenten gegenüber dem viel bekannteren Urheberrecht weithin unbekannt. Dies dürfte auch für viele andere potenzielle Unterschreibende gelten. Daher eine kurze Beschreibung:
Urheberrecht (Copyright)
Urheberecht dient dem Ziel, mehr Werke für die Allgemeinheit zu erstellen, indem den Autoren von Werken das Recht gegeben wird, die Bezahlung der Entwicklungskosten für ihre Werke durch die Benutzern der Werke, in Form einer Lizenzabgabe auf jede Kopie dieses Werkes, zu verlangen.

Urheberrechte verbieten daher, für eine limitierte Zeit, Kopien eines geschützten Werkes herzustellen und zu vertreiben, ohne eine Genehmigung vom Autor zu besitzen, die er nur gegen Bezahlung geben wird.

Urheberrechte haben keine Auswirkung auf die Möglichkeit anderer Autoren, ein konkurrenzierendes Werk zu erstellen, zu vertreiben oder zu nutzen.

Patentrecht
Patentrecht dient dem Ziel, mehr technologische Neuerungen zu veröffentlichen und damit das Wissen der Allgemeinheit zugänglich zu machen, indem den Patentinhabern das Recht gegeben wird, zu verhindern, dass jemand anders aus ihren Erfindungen den Nutzen zieht und sie leer dabei ausgehen.

Patente verbieten daher, für eine limitierte Zeit, Konkurrenzprodukte auf Basis der neuen Technologie herzustellen und zu vertreiben, ohne eine Genehmigung vom Inhaber zu besitzen, die er nur gegen Bezahlung geben wird.

Patente haben daher grosse Auswirkungen auf die Möglichkeit anderer Entwickler, ein konkurrierendes Produkt zu entwickeln. Daher muss ihr Nutzen mit dem Schaden den sie anrichten abgewogen werden.

Diese schädlichen Auswirkungen sind es, welche die Open Source Entwickler zunehmend in ihrer Arbeit hindern und die in dieser Petition ausgedrückte Opposition hervorrufen.

Bei dieser Petition geht es um Patentrecht, nicht um Urheberrecht.

3. Vorgeschichte des Europäischen Patent Uebereinkommens

Die Europäische Union (EU) hat, im Rahmen ihrer Arbeit zur Vereinheitlichung der Gesetze ihrer Mitgliedsländer, ein Europäisches Patent Uebereinkommen (EPUe) erschaffen, das auch auf einige nicht-EU Länder, darunter die Schweiz, ausgeweitet wurde.

Dieses Abkommen beinhaltet einen Artikel, der u.a. "Computer Programme als solches" von der Patentierbarkeit ausschliesst. Eben dieser Artikel soll nun u.a. an der bevorstehenden Konferenz in München aus dem EPC gestrichen werden.

In einer Vorabstimmung haben sich die Mitgliedsländer 10:9 knapp geeinigt, dass die Löschung dieses Artikels Teil des Entwurfs eines Paketes sein soll, über das an der bevorstehenden Konferenz abgestimmt werden soll. Die "3 Grossen" (Deutschland, Frankreich, Grossbritannien) haben alle die Aenderung abgelehnt, obwohl ihre Softwarendustrie am ehesten noch von der Aenderung profitieren könnte. Die Schweizer Delegation fand sich bei dieser Abstimmung unter den 10 zustimmenden Ländern.

Die Deutsche Delegation hat angekündigt, dass ihnen der Erhalt dieses Artikels wichtig ist: "werde man notfalls das EPUe insgesamt platzen lassen". Es ist aber zu befürchten, dass die anderen 8 Staaten, die die Streichung ablehnten, nicht soweit gehen möchten, und dass folglich das Paket die notwendige 2/3 Mehrheit (13) schaffen könnte.

Da die Schweizer Delegation bisher für die Aenderung ist, haben wir uns entschlossen, Ihnen unsere Argumente für eine Ablehnung der Aenderung darzulegen. Die Petitionsinitianten sammeln daher Unterschriften, um dieser Darstellung Gewicht zu verleihen.

4. Der Prozess der Software Erstellung

Um zu verstehen, warum Patente im generellen und diese Aenderung im spezifischen eine viel schädliche Auswirkung auf die Entwicklung von Open Source Software (und somit auf die technologische Entwicklung der Schweiz) haben als auf traditionelle Software muss man in Betracht ziehen, wie Software erstellt wird und was bei der Open Source Methode anders ist.

Daher folgt hier zuerst eine Beschreibung der traditionellen Methode und der Auswirkungen darauf, welche die Aenderung des Patentrechtes mit sich bringt. Danach folgt eine Beschreibung der Open Source Methode und der Auswirkungen darauf, welche die Aenderung des Patentrechtes mit sich bringt.

5. Traditionell: die Closed Source Software Methode

In der traditionellen industriellen Softwareentwickling wird verfahren nach dem selbigen Methoden, wie in der Maschinenbau-, Elektrotechnik-, Chemie-, etc -Industrie:

Eine von einem Hersteller eingestellte Gruppe von Entwicklern erstellt einen textuellen Beschrieb, was der Computer machen soll (Source Code). Dieser Source Code wird beim Hersteller umgewandelt in das eigentliche ausführbare Program (Binary Code). Kopien vom Binary Code ohne Source Code werden an die Benutzer verteilt, gegen Bezahlung einer Lizenzgebühr per Kopie, aus der dann der Hersteller, seine Entwickler und die Investoren bezahlt werden.

Weil der Source Code nur für die Organisation des Herstellers verfügbar ist, wird diese Methode Closed Source genannt.

6. Einfluss von Patenten auf Closed Source

Da Closed Source Software stets gegen Bezahlung per Kopie abgegeben wird (ausser der Hersteller verschenkt sie aus Marketinggründen), können allfällige Patentgebühren einfach auf den Verkaufspreis aufgeschlagen werden, genau so wie alle anderen Kosten des Herstellers.

Andereits haben Patente für Closed Source Software Hersteller Vorteile: Sie können sich damit der lästigen Konkurrenz entledigen (indem sie nicht lizenzieren, oder aber zu hohen Preisen). In diesem Sinne bevorzugt das Patentsystem grosse Firmen, die finanziell stärker sind, während kleine und mittelgrosse Firmen und Individuen benachteiligt werden.

7. Prinzipbedingte Schwächen von Closed Source

Closed Source hat seit dem Anbeginn einige schwere Probleme: Aus diesen Gründen suchen Benutzer seit langer Zeit nach besseren Methoden, zu Software zu kommen.

8. Neu: die Open Source Software Methode

Die Open Source Methode umgeht alle diese Probleme, da es dabei keinen Hersteller im industriellen Sinne mehr gibt. Statt dessen werden Programme von einer zufälligen projektbezogenen Interessengruppe von unabhängigen Entwicklern erstellt: Weil der Source Code allen Personen offen steht wird diese Methode Open Source genannt.

9. Prinzipbedingte Stärken von Open Source

Die Stärken sind genau der Gegensatz zu den Schwächen von Closed Source. All das, was von dem verfügbaren Source Code her kommt: Dazu kommen noch weitere Stärken: Dies alles erzeugt äussert gute, robuste, benutzeroptimierte, verlässliche Software, die keiner je missen will, der sie einmal kennen gelernt hat.

Aus diesem Grund wehren sich Anhänger der Open Source Methode gegen alles, was diese Methode hindern oder gar verunmöglichen könnte. Wie z.B. Patente auf Software.

10. Bedingungen für Open Source und wie Patente es verhindern können

Um nun zu zeigen, wie Patente auf Software die Open Source Methode behindern und sogar verunmöglichen können, müssen die schwachen Punkte der Methode etwas analysiert werden.

Aus der Beschreibung, wie Open Source Software zustande kommt, kann man ableiten, was für Bedingungen nötig sind, damit Open Source als Methode ermöglicht werden kann:

Patente erlauben es nun, den Erfindern von Technologien, die Herstellung von Konkurrenzprodukten (was jede Open Source Software, die eine Closed Source Software ersetzt, ist) zu verbieten, so lange der Ersteller des Konkurrenzproduktes nicht Lizenzabgaben bezahlt. Diese sind zumeist per Kopie zu bezahlen. Dies ist nun aber mit der, für Open Source notwendigen, kostenlosen Verteilbarkeit von Kopieen und der Unmöglichkeit, die Anzahl Kopien zu bestimmen, unmöglich vereinbar.

Folge: ein Patent auf eine Technologie verhindert vollständig jegliche Open Source Programme auf der Basis dieser Technologie. Das heisst, die Entwicklung von einem 100% auf Open Source basierten System, das konkurrenzfähig ist zu Closed Source, wird verunmöglicht.

Profitieren wird von diesem Zustand v.a die US-amerikanische Grosssoftwareindustrie, sie so ihren Hauptkonkurrenten los wird.

11. Einfluss von existierenden Patenten

Als Beispiele für die schädliche Wirkung von Patenten auf Open Source muss man bereits heute nicht weit suchen, nämlich bei Software, die patentierte Algorithmen benötigt: So ist, wie man sieht, v.a. bei Software die Dateiformate auswerten muss, nicht zu vermeiden, dass solche Programme durch Patente nicht mehr schreibbar werden.

12. Wirkung von noch mehr Patenten, insbesondere solche für Software

Bisher sind von Patenten nur Programme betroffen, die komplexe mathematische Algorithmen brauchen, die heute schon patentierbar sind. Mit einer generellen Patentierbarkeit von Software wird dieses Problem sich auf alle Programmkategorieren ausdehnen.

Jedes weitere Patent kann ein weiteres Dateiformat, aber auch ein User Interface Element, oder ein anderes Software Feature für Open Source Programmierer nicht nachbaubar machen. Man stelle sich vor, Pull-Down Menüs wären patentiert worden: es wären keine Open Source Programme mit graphischer Benutzeroberfläche möglich!

Konsequenz davon ist, dass Open Source Programme immer weiter hinter Closed Source Programmen zurückbleiben müssen, nicht durch schlechte Programmierer oder eine schlechte Methode, sondern durch ein gar nicht beabsichtigtes gesetzliches Verbot.

Als Folge verlieren die Benutzer die Auswahl an Software, und Rechnersystemen, die durch Open Source möglich wird. Neue innovative Entwicklungen werden verhindert.

Wenn man bedenkt, dass der Zweck des Patentrechtes ist, Erfindungen offenzulegen, damit mehr Wissen verfügbar wird, damit der Benutzer mehr Auswahl bekommt, so ist diese Massnahme, Software patentierbar zu machen, die zu weniger Auswahl führt, ein klassischer "Schuss nach hinten hinaus".

13. Andere Experten zu diesem Thema

Natürlich sind wir nicht die Einzigen, die zu diesem Thema schreiben.

Interessant ist z.B. die auf der EU Website publizierte Studie: "The Economic Impact of Patentability of Computer Programs", in der der Autor, zum Schluss kommt, ...

As shown in our economic study of the literature (Section III of our report), most economists have doubts whether economic efficiency, i.e. increased overall welfare, is achieved by having or making computer program related inventions patentable

..., also dass der Nutzen der Aenderung bezweifelt wird. Und zu diesem Schluss kommt er trotz einer Fehleinschätzungen zugunsten der Aenderung:

Er geht davon aus, dass jeder Entwickler, auch kleine, von Patenten profitieren können, indem sie einfacher Investitionen anziehen können, oder durch verhinderte Konkurrenz, oder durch Verkauf von Lizenzen. Dies ist aber beides nicht der Fall bei Open Source Entwicklern, da sie keine Investoren benötigen und Verkauf gar nicht vorgesehen ist.

Wenn man nun "Nutzen der Aenderung bezweifelt" nimmt, die Fehleinschätzung subtrahiert und dann noch die schädlichen Effekte ansieht, dann gibt es nur einen Schluss für die Aenderung: sie ist kontraproduktiv. Eben diesen Standpunkt scheint die Deutschen, Franzosen und Briten überzeugt zu haben.

14. Zusammenfassung

Die vorgeschlagene Aenderung bringt selbst nach der Meinung von Experten in Patenten nicht viel. Sie bringt anderseits nach unserer Einschätzung als Experten in Open Source grossen Schaden.

Software Patente lösen ein kleineres Problem (Neuerungen verfügbar machen, das auch durch Reverse-Engineering gelöst werden kann, das kostet einfach Zeit oder Geld) und produzieren dafür ein grösseres Problem (Lizenzen bezahlen, das für Open Source nicht gelöst werden kann).

Aus diesem Grund fordert der LUGS die Delegation des IGE auf, in München gegen diese Ausweitung des Patentrechtes zu stimmen, und so diese schlechte Aenderung zu verhindern zu helfen.


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Autor: Diese Seite ist nach der Open Source Methode entstanden, Erst-Autor is Neil Franklin, Korrekturen und Ergänzungen kamen von verschiedenen Mitgliedern vom LUGS.

Letzte Aenderung (Version 1): 2000.11.05 Letzte Aenderung (Version 2, diese): 2000.11.09

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